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    Dieter Ronte

 

 

Prof. Dr. Dieter Ronte,

geboren 1943 in Leipzig, war von 1979 Direktor des Museums Moderner Kunst Wien und von 1989 Direktor des Sprengel Museums Hannover. Von 1993 bis 2008 Direktor des Kunstmuseums Bonn.

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Über die Erfahrungen mit der Erfahrungsmalerei von Heiner Altmeppen

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Die großen Expeditionen der Vergangenheit, besonders die der großen Krieger, brauchten Maler, die das aufzeigen konnten für die Ewigkeit, was in den anderen Welten erlebt bzw. erobert wurde. Die napoleo­nischen Feldzüge sind undenkbar ohne Maler als Begleiter, ebenso die der anderen so genannten großen Feldherren. Für viele Maler waren ihre Schilderungen unbekannter Naturen aber auch die Chance, als Maler im Krieg als Reportage-Künstler zu überleben.

Im Prinzip hat sich dieses verändert, weil mit dem Aufkommen der Fotografie der schnelle Zugriff zum Abbild der Wirklichkeit gegeben war. Ein veritables Realismusproblem entstand in der Malerei, als sie es nicht mehr verstand, die Fotografie als Hilfsmittel einzusetzen, so wie es im 19. Jahrhundert normal war. Mit der sich verselbständigenden Fotografie als Medium und künstlerischer Disziplin entwickelte die Malerei die Gegenpositionen der Abstraktionen.

Nach 1945 fällt auf, dass die gegenständliche Malerei das Feld nie völlig geräumt hat, sowie es die Abstrakten glauben machen wollten. Das Figürliche ist heute mehr gefragt denn früher (Biennale Venedig, 2005; Quadriennale in Düsseldorf, 2006, Thema Figuration). Die Gegenständlichkeit von Landschaft und Mensch findet wieder mehr und mehr Beachtung - selbst nach Duchamps ästhetischem Kurzschluss, dem Objet trouve und dem Ready Made, wie wir es auch im Revival bei den Nouveaux Realistes wiedergefunden haben.

Der Mensch kann letztlich nicht den Gegenständen seiner Welt entfliehen, egal ob er sie selbst gezeugt, selbst gemacht oder vom lieben Gott vorgesetzt bekommen hat. Das aber, was er kann, ist, kritisch mit die­ser Seherfahrung umzugehen.

Die Realisten von heute, ohne diesen Begriff definieren zu wollen, agieren aus dem Bewusstsein heraus, dass die Menschen der Fotografie immer weniger trauen, weil sie gelernt haben, dass im Fernsehen, auf dem Papier, in den schnellen Fotos Manipulationen möglich sind, die weit jenseits der Wirklichkeit und ihrer Gedächtnismöglichkeiten liegen. Anders ausgedrückt heißt dieses, dass die Fotografie ein Medium ist, in der die Unwahrheit und manchmal auch die künstlerische Überhöhung als Funktionalisierung der Gegebenheiten wichtiger ist, als der Wahrheitsgehalt des Dargestellten. Straight Photography ist nicht mehr in, der Decisive Moment (Henry Cartier-Bresson) wird nicht mehr gesucht.

Anders ist die Situation bei den Malern. Ihre Malerei ist ehrlich, weil subjektiv. Sie arbeiten langsam, sie brauchen oft für ein Abbild Jahre, wo dem Fotografen eine tausendstel Sekunde genügt. Sie erarbeiten das Sujet wie Altmeppen auch mit dem Hilfsmittel Fotografie, weil es die Erinnerung an das Gesehene auch über viele Monate hinweg erlaubt. Das Foto wird jetzt zum möglichen Korrektiv der eigenen Erfahrungswelt, die als Erfahrungsmalerei etwas wiedergibt, das gesehen, das gesucht und bewusst ausgewählt wurde, um als Ausschnitt aus der gesamten Wirklichkeit Bild zu werden. Hier bereits beginnt das Prinzip von Altmeppen zu wirken. Der Ausschnitt, das Detail aus dem Ganzen, ist Begrenzung und zugleich Öffnung. Altmeppen arbeitet nicht mit der Chaostheorie, nicht mit dem Problem, dass das Einzelne von außen alles bewirkt, sondern dass der Ausschnitt so präzise formuliert werden muss, dass er die Unendlichkeit der Wirklichkeit vergessen lässt. Das Bild entsteht als ein in sich autarkes Sein.

Gleichzeitig muss das Detail so gewählt sein, dass die Lesbarkeit garantiert bleibt. Es ist beim Bilde die ana­loge Literatur des Sehens, die der Rezipient beim Betrachten der Bilder auch sprachlich umsetzen kann. Doch wenn er anfängt, diese Bilder wirklich in Worte zu fassen, wird er sehr schnell feststellen, dass er vor lauter Detailbeschreibungen das Ganze wiederum aus den Augen verliert. Das Detail im Ausschnitt ist eben­so wichtig wie der gesamte Ausschnitt als ein Detail der Gesamtheit der großen Unendlichkeit des Dargestellten. Das Bild aktiviert wie ein Roman.

Altmeppen arbeitet als ein Künstler, der in das Detail verliebt ist und durch Malerei manipuliert, um Zusammenhänge aufzuzeigen. Er verweigert sich der platten Imitation, der äffischen Nachahmung (der Affe als Künstler), der simplen Mimesis. Er setzt der gesehenen Wirklichkeit die Erfahrungsmalerei einer dif­ferenzierenden Erlebbarkeit gegenüber, indem er Makro-Welten mit Mikro-Situationen verschmelzt sieht und synchron darstellt.

Permanent changieren in den Bildern von Altmeppen traditionell romantische Züge der Vergänglichkeit mit denen einer künstlichen, werkimmanenten explosiven Steigerung retinaler Erfahrungen. Somit ist Altmeppen ein Romantiker und zugleich auch ein visionärer Augen-Politiker.

Seine Bildthemen findet er dort, wo letztlich die Politik versagt. Er kann erkennen, dass Zusammenhänge gegeben sind, in denen der Mensch das ihm vertraute Gut so verändert und zugleich zerstört, dass er die so genannte Schönheit der Natur weitgehendst eliminiert, um zugleich neue Erfahrungswelten aufzubau­en, die positiv und negativ sein können.

Würde der Betrachter der Bilder jene Landschaften und Örtlichkeiten aufsuchen, die Altmeppen in vielen Monaten und Jahren bildnerisch Gestalt hat werden lassen, so würde er nur schemenhaft erkennen, dass er sich mit derselben Topografie beschäftigt. Das Durchreisen der Landschaft würde völlig andere Bilder erge­ben, erstaunliche und abstoßende, nicht aber mehr diesen ganzheitlichen Eindruck einer potenziellen Gefährdung vermitteln können, wie ihn Altmeppen malt.

Der Künstler kann bei aller Detailfreude zusammenfassen, synergetisch sehen und diese Erfahrungen bild­haft machen, um dem Benutzer seiner Bilder vor Augen zu führen, dass kognitive Möglichkeiten durch die Betrachtung von Kunst weit über das hinausgehen können, was die unmittelbare Erlebniswelt bedeutet. Altmeppen malt in kritischer Manier. Er greift dort ein, wo er Fehler vermutet, wo er falsche Erfahrungen des Sehens korrigieren will.

Dieser prozessuale Vorgang zwischen Abbild und Korrektur, Gesehenem und Kritik, unendlicher Wirklichkeit und kleinformatigem Bild-Teil, Romantik und expressiver Steigerung ergeben einen Ablauf in den Bildern, der von großer Faszination ist. Der Betrachter wird geradezu geschüttelt. Er ist hin- und her­gerissen. Altmeppen geht soweit, dass er ihm quasi vormalt, dass es keine Grenzen mehr zwischen Handwerk und Kunstwollen gibt. Diese Perfektion liebt er, weil er sie zugleich aufhebt. Es wäre deshalb völlig falsch, die Bilder Altmeppens als puren Realismus zu begreifen. Die Bilder sind äußerst künstliche Gebilde, sie sind im ästhetischen Sinne funktionalisierte Wirklichkeit.

Erlauben wir uns einen weiteren Vergleich mit einem Fotografen; den Fotografien von Bernd und Hilla Becher und den Ausschnittsmalereien von Altmeppen. Die Fotos der Bechers sind zwar Abbild, zugleich aber ein äußerst manipuliertes Abbild im Sinne von anonymen Skulpturen. Auf den Fotos befinden sich keine Menschen, sehen wir keine Wolken, entdecken wir keine Bewegung, sondern nur die Statik die Kunst suchenden Fotografie.

Bei Altmeppen sehen wir ein völlig anderes Konzept. Es wird mühsam gemalt, das werden auch die Bechers als Arbeitsprozess akzeptieren.  Es wird  aufgebaut.  Nur langsam entstehen  über  lasierende Schichten in altmeisterlicher Malerei die Formen und Figurationen, die eben nicht mehr der Wirklichkeit entsprechen. Alles ist gesteigert, jeder kleinste Punkt ist zugleich auch Veränderung, eine mögliche Variation und virtuelle Realität, die als Öl auf Leinwand eingesehen werden kann.

Altmeppen stellt demnach nicht objektiv vor. Er agiert als Interpretierender, als ein Künstler, der seine eigenen Seherfahrungen zu Malereiexperimenten verdichtet hat. Seine Malerei durchtränkt das Wissen um die Wirklichkeit, die er sehr ernst nimmt. Diese ist seine ästhetische Rückversicherung. Deshalb sehen wir keine romantischen Idealisierungen wie in den Kreidefelsen auf Rügen von Caspar David Friedrich (Museum Winterthur) oder heroische Landschaften als wiederkehrenden Topos wie bei Joseph Anton und seiner Serpentara in Olevano bei Rom.

Es fällt auf, dass in den meisten Texten über Altmeppen sehr viel über Philosophie gesprochen wird. Das liegt nahe, denn Altmeppen hat nicht nur Kunst studiert auf einer Hochschule für bildende Künste, son­dern auch Philosophie auf der Universität. Wir können also davon ausgehen, die Zitate und Gespräche mit ihm belegen das, dass er sehr genau weiß, was er malt, warum er es tut und vielleicht etwas weniger, warum er so handelt. Er liefert zwar auch Bilder im Auftrag ab; aber im Prinzip fühlt er sich als Künstler völlig frei, so wie es die Philosophen immer von sich beansprucht haben. Als pictor doctus lebt er neuer­lich ein Ideal der Renaissance, den Künstler als Gelehrten: Kunst als sehendes Wissen.

Kann man deshalb von einem philosophischen Realismus sprechen? Sind die Bilder die Produkte eines Agnostikers oder Epikuräers oder sind sie vielmehr die eines Forschers, der sich die Freiheit nimmt, lieber über den Gegenstand zu malen, um ihn nicht als Grundlagenforscher zu erdrücken? Ist Altmeppen viel­leicht doch dieser philosophische Maler der Gegenständlichkeit, der uns Natur wieder entgegenbringt die heile wie die zerstörte? Ist er ein Maler von allergrößter Gedankenfülle, die sich darin äußert, dass der Betrachter die Bilder punktuell abgreifen muss, um zu erfahren, was alles dort gemalt ist? Malt Altmeppen sozusagen Wort für Wort das, was er erfahren hat; die Frische der Wirklichkeit als Glanz und die Kraft der Gegenwart, die im Bild zur Vergangenheit werden?

All diese Fragen können positiv beantwortet werden. Sie erklären die vielen Facetten der Bilder von Altmeppen. Sie reagieren optisch auf den Makro- sowie Mikrokosmos der Kunstwerke. Sie reichen aber alleine als Erklärung nicht aus.

Dieses Faktum spricht für die Bilder von Altmeppen, auch wenn diesen Text jemand schreibt, der mit abstrakter Kunst groß geworden ist, der mit 16 Jahren fest davon überzeugt war, dass niemals mehr ein Mensch oder eine Landschaft gemalt werden muss - weil akademisch; dass die Freiheit des Menschen darin liegt, der Gegenwart Gottes und seiner Schöpfungen das Bild als die Realität einer weiteren Gegenwart hinzuzugesellen: Bildwerdung als ein Prozess der Freiheit einer Persönlichkeit. Heute kann formuliert wer­den, dass aufgrund dieser Erfahrungen die Erkenntnis zutrifft, dass Altmeppen genau dieses tut; nur mit anderen Mitteln - nicht aber in einem anderen Medium.

Sein Bezug zur Öffentlichkeit ist gedanklich abstrakt. Er ankert am Gesehenen. Er kann sich über die Fotografie vergewissern. Dennoch entstehen Bilder, die wahrheitsgetreu schildern und zugleich in der Schilderung Steigerungen vornehmen, die nicht mehr der „Natur" entsprechen. Der Künstler verlagert eigene Erfahrungen als Visionen in die Malerei, die ihrerseits beim Betrachter einen Vorgang auslösen, der zwischen Konstatieren und Bewunderung liegt. Die Kontrolle findet statt, weil der Betrachter sich immer wieder virtuell vorstellt, was der Maler wirklich gesehen hat. Er glaubt sich mitten im Geschehen zu wis­sen, er sieht sozusagen das gleiche Vorbild wie der Künstler, um dann zu erfahren, dass das Bild eine ande­re Wirklichkeit abgibt, ohne dass die ursprüngliche Radikalität der Wirklichkeit definitiv verlassen wird.

Altmeppen betreibt keinen einfachen Handel. Es ist handwerklich fundiert und gedanklich überhöht. Er ist ein Magier der Veränderung, ein blendender Suchender, ein glückhafter Finder, ein präzise Aufnehmender, ein exakt Realisierender, ein mutig Strukturierender, ein empfindsamer Retinaler, ein wol­lender Egozentriker, ein liebevoll Hantierender, ein exakt Malender, ein brutal Verdrängender, ein emo­tionaler Einsteiger, ein expressiver Aussteiger, ein philosophisch Denkender un d, um diese Charakterreihe nicht fortzusetzen, ein Künstler, der mit Liebe und Vitalität, mit Kritik und Vernunft das Auge des Betrachters provoziert und delektiert.

Dieter Ronte, Bonn, Juni 2005

Erschienen im Ausstellungskatalog "Heiner Altmeppen - Deutsche Landschaften und andere Bilder", Kunsthalle Dominikanerkirche Osnabrück, September-Dezember 2005

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