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    Brigitte Kronauer

Brigitte Kronauer,

geboren 1940 in Essen, Schriftstellerin und Essayistin, lebt in Hamburg. Zuletzt erschien ihr Roman "Errötende Mörder", 2007, (Klett-Cotta)

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Nur Lastwagen, exzellent beleuchtet? - Heiner Altmeppens «Heiligengeistfeld»

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Über Bilder zu schreiben erscheint mir, obschon ich es ja gelegentlich tue, immer etwas fragwürdig. An Werken der bildenden Kunst beeindruckt mich doch gerade die hartnäckige Schweigsamkeit des Visuellen, jene Art von Sichtbarkeit, die eine Gegenmacht ist zu den Wörtern und für die das Indiskrete jeder Interpretation vor allem einen Versuch der Zersetzung ihres stummen, vollständig im Optischen ruhenden Wesens darstellt.

Gespräche mit befreundeten Malern interessieren mich, weil es nicht um Literarisches, nicht um Bedeutungen, Symbole, Zitate geht, sondern um formale und technische Probleme, um Fragen der Konstruktion, um den Aufbau der Leinwände und Lasurschichten. Es wird über die Vor- und Nachteile von Öl und Acryl geredet und geht doch die ganze Zeit selbstverständlich um Kunst: Was verwandelt am bezwingendsten Eindruck in Ausdruck? Die Berührungsscheu der Maler gegenüber solchen Pathos-Sätzen ist dabei oft bestechend.

Andererseits: «Heiligengeistfeld»! Ganz zufällig wurde der Titel des inzwischen 30-jährigen Gemäldes vom damals 26-jährigen Altmeppen wohl kaum gewählt. Obschon von vornherein gesagt sei, dass es sich dabei um einen großen Platz am östlichen Ende der Hamburger Reeperbahn in Sankt Pauli handelt, der seinen Namen zwar von einem Hospital aus dem 15. Jahrhundert hat, dann aber u. a. Viehweide, schließlich Lokalität des Hamburger «Doms», einer riesigen, dreimal jährlich stattfindenden Kirmes, wurde mit wüstem Gedränge, Geschrei, Getümmel.

Auf dem Bild herrscht von all dem das Gegenteil. Kein Heiliger Geist, keine Vegetation, kein Lärm, keine Lebewesen, nur menschenferne, menschenfeindliche Verlorenheit mit drei die Kälte und Kahlheit der Nacht keineswegs besänftigenden Hauptgestalten in der Mitte und weiteren Lastzügen als Randfiguren, die dem Hintergrund des fast unendlich gedehnten Platzes wenigstens die Andeutung einer Horizontrundung geben.

Nichts könnte alltäglicher sein als Lastwagen. Sie taugen hervorragend als Inbegriff der Normalität in Gestalt unaufhörlich rollenden Autoverkehrs und dreckigen Arbeitsvollzugs auf dem Gebiet des Transports. Hier nun sind sie auf eine Bühne geraten, halb dem öden Grau des Platzes zugeordnet, halb dem eisigen Sog des von einigen Sternen markierten Weltalls, die beide wiederum, Boden wie Weltall, exakt die Hälfte der Bildfläche besetzen. Ob die Fahrer in ihren Wagen schlafen, weiß man nicht. Es ist nicht wichtig. Die Fahrzeuge sind nicht deren Stellvertreter, vielmehr selbst das Ereignis, sind nicht Gehäuse mit oder ohne Inhalt, sondern Individuen, denen man plötzlich direkt ins Gesicht sieht, wie man es als Kind bei solchen Monstern empfunden hat, hypnotisiert von den mafiosen Sonnenbrillen ihrer Frontscheiben, schwarz wie das Universum über ihnen.

Es sind Reisende, die sich auf ihren langen, geräuschvollen Wegen von einem mühevollen Pilgern und Hin und Her ausruhen, bis sie, schrottreif, irgendwann, irgendwo, enden. Ihr nächtliches Intermezzo auf dem Heiligengeistfeld setzt sie jedoch einer offensichtlich zum Himmel schreienden Vereinsamung aus, die sich rational schon gar nicht mehr begreifen lässt. Haben sie sich nicht in der frostigen Atmosphäre enger aneinandergedrängt, ein bisschen angefreundet, um besser gewappnet zu sein? Wogegen aber? Gegen die Attacke einer herabstürzenden Energie, der sie, ohne dämmende Vernebelung, ausgeliefert sind?

Je länger man sie ansieht, desto stärker spürt man ein erstaunliches Mitgefühl mit den drei Blechkameraden, auch ihr Pulsieren. Die anfänglich alles dominierende Kühle wandelt sich um, wie sich der Eindruck ändert, den die Beleuchtung erzeugt.

Am besten kann man es studieren, wenn man abends mit dem Zug durch dunkle Städte fährt und in den Wohnzimmern die trübselige Wirkung der zentralen, durch keinen seitlichen Beleuchtungskörper relativierten Deckenlampe in tausendfacher Wiederholung beobachtet: Licht von oben produziert gewöhnlich eine düstere Stimmung, der kein Mensch, kein Möbelstück im Bereich des niederschmetternden Lichtkegels entkommt. Auch wenn auf dem Gemälde die Lichtquelle über den von ihr betroffenen Lastwagen abgeschnitten ist, besteht kein Zweifel daran, wo sie, entsprechend der Mastleuchte im Hintergrund, ihren Ursprung hat. Sie lässt die Schlagschatten der Fahrzeuge beweiskräftig in entgegengesetzte Richtungen fallen.

Wir ahnen aber: Es muss ein Licht jenseits elektrischer Phänomene sein, das den drei LKW allen Staub, allen Mangel täglicher Nutzung nimmt, sie sogar, übers Fabrikneue hinaus, in eine erhöhende Gegenwärtigkeit entrückt. Was sie mit Wölbung, Falten, mit allen Oberflächen reflektieren, ist ein dem Weltraum entströmendes Licht, das die Gebrauchsobjekte in dieser Stunde zu einzigartigen Subjekten erleuchtet. Ihre Isolation unter der außerirdischen Lichtdusche ist auf einmal etwas physikalisch Sakrales.

Im Hinsehen regt sich in uns ein verwandtes, von Gewohnheiten zugedecktes Gefühl. Wir glauben plötzlich, solche Ausnahmezustände für Augenblicke an uns selbst zu kennen und wiederzuentdecken, flüchtige, erlesen schutzlose Momente mit einer Intensität von Gefühl und Anblick, die im Leben nie lange andauern. In «Heiligengeistfeld» sind sie, wie nur die Kunst es kann, komprimiert und geradezu: verewigt.

Erschienen in "Neue Zürcher Zeitung", 24. Februar 2007

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