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    Heinz Spielmann

Prof. Dr. Heinz Spielmann, geboren 1930, war Professor für Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Münster. Von 1986 bis 1998 leitete er die Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen, von 1998 bis 2005 war er künstlerischer Leiter des Bucerius Kunst Forums in Hamburg. 

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Umwelt und Weltbild - Zu Heiner Altmeppens Bild für die Deutsche Bundesstiftung Umwelt in Osnabrück

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Dass Malern heute wie früher große Wände für Bilder in fester Bindung an Architektur zur Verfügung stehen, geschieht auch im Zeitalter künstlerischer Autonomie nicht so selten, wie man glaubt. Dass über ihre Realisierung vier Jahre vergehen, stellt jedoch eine seltene Ausnahme dar. Die meisten Künstler, denen die Chance für ein monumentales Wandbild geboten wird, erledigen sich der Aufgabe mit Verve in nicht allzu langer Zeit. Anders in diesem Fall.

Nachdem Fritz Brickwedde, der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt im Dezember 1993 Heiner Altmeppen den Auftrag für ein großes Wandgemälde für den Neubau erteilte und man sich auf ein entsprechend großes Format geeinigt hatte, begann der Maler im Februar des folgenden Jahres mit der Arbeit; er schloss sie im April 1998 ab, in Schritten, die in Vorstudien und detaillierter Entwurfszeichnung einer tradierten Methodik der älteren Malerei gleichen.

Das Thema legte es nahe, Bildgegenstand und Bildbedeutung zwischen dem Auftraggeber und dem Maler wenn nicht festzulegen, so doch zu erörtern. Solche Absprachen gab es nicht. Altmeppen war frei in der Wahl von Gehalt und Form, in Darstellung und Deutung. Er nutzte diese Freiheit für ein Bild ganz nach eigener Intention. Aber sein bisheriges Werk lieferte genügend Hinweise auf das, was man von ihm erwarten durfte. Es bezieht Position abseits gängiger Tendenzen, abseits selbst eines Realismus, der auf bloße Abbilder der Wirklichkeit zielt, mag auch der auf die Genauigkeit des Details gerichtete Darstellungs-Modus zunächst an den Fotorealismus seiner Generationsgenossen erinnern. Von ihrem Sehen unterscheidet sich Altmeppens Verständnis der Wirklichkeit durch seinen transitorischen Blick.

Dass der 1951 im ostfriesischen Leer geborene und im Emsland aufgewachsene junge Künstler sich im Alter von zwanzig Jahren entschloss, parallel zum Training der Malerei bei Rudolf Hausner an der Hamburger Universität Philosophie zu studieren, verrät viel von seinem Selbstverständnis als ein pictor doctus, der sich trotz allen Wissens seine Naivität des Sehens und Erlebens bewahrte. Anders als sein Lehrer Hausner frönte er keinem monomanischen Neo-Manierismus, wenn gleich ein großer Maler des manieristischen Zeitalters, Pieter Breughel, ihm als Vorbild schlechthin gilt.

Während Pop-, Minimal-, Concept art, Kinetik und Video die Tages-Szenerie bestimmten, Beuys seinen Glauben predigte, die »jungen Wilden« älter wurden, verfocht Heiner Altmeppen die Überzeugung, dass Malerei die gegebene Welt zeigen und deuten müsse - nicht dogmatisch oder gar sektiererisch, wie nach der Auffassung mancher seiner realistischen Weggenossen, sondern in offener Toleranz gegenüber anderen, durch indivi­duelle Qualität gerechtfertigten Erscheinungsformen der Malerei.

Er sah sich durch eine Anerkennung seines bald überzeugend vor Augen stehenden Talents wohl zu seiner eigenen Überraschung nach dem Ende seines Studiums immer wieder gefördert, zwischen 1976 und 1981 durch das Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes und das Karl Schmidt-Rottluff Stipendium, durch Studienaufenthalte in Rom und Venedig, und 1983,1984,1987 durch Preise in Hannover, Hamburg und dem Emsland, mit dem ihn seine Herkunft verband.

Als ihm diese Auszeichnungen verliehen wurden, hatte er bereits einen anderen Lebensraum gewählt, einen kleinen Ort in der Pfalz. Die Öffentlichkeit nahm dies nicht sofort wahr, denn die Bilder, die man mit seinem Namen verband, bestim­men Eindrücke aus Norddeutschland, etwa das Hamburger Heiligengeistfeld mit nächtlich abgestellten Lastern oder einem vor dem Meer posierenden Mädchen im Badeanzug, beide heute mit der Sammlung Hermann-Josef Bunte im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum auf Schloss Gottorf.

Am bekanntesten wurde wohl die große »Norddeutsche Landschaft« von 1980/81, die ihren Platz in Henri Nannens Emder Kunsthalle fand, zu einer Zeit, in der kaum ein anderes Museum den so wenig angepassten Maler aufnahm. In der Weite des Atems, im Kontrast von freier Landschaft und den sie zersiedelnden Schlafstädten, in der Bedeutung des Himmels, im völligen Verzicht auf die Anwesenheit von Menschen, in der Präzision des Details erscheint die von Nannen so früh in ihrer Qualität erkannte »Norddeutsche Landschaft« wie eine Vorstufe zum großen Osnabrücker Wandbild.

Die Tatsache, dass das große Gemälde im neuen Verwal­tungsgebäude der Deutsche Bundesstiftung Umwelt mehr als Gleichnis denn als bloßes Abbild, mehr als allgemeine Vorstel­lung der Struktur von Welt und Gesellschaft denn als topo­graphische Festlegung zu verstehen ist, heißt nicht, dass das auf ihm Anzutreffende erfunden wäre. Was an Einbrüchen in eine gewachsene Kulturlandschaft zu sehen ist, kann man, so sagt Altmeppen, in seiner grotesken Erscheinung nicht erfin­den. Es besitzt eine allzu eindringliche Präsenz, ist allzu kon­krete Wirklichkeit. Diese konkreten Realien hatte der Maler bereits vor der Erteilung des Auftrags für sein Wandbild fotografiert. Er nutzte etwa sechzig seiner Aufnahmen, die in der näheren oder weiteren Umgebung seines Wohnorts entstan­den. In dem protokollartigen Text, den er kürzlich schrieb, beschreibt der Maler die benutzten Fotografien und ihre Ent­sprechung im Bild wie folgt:

»Der größte Teil des Mittelgrundes zeigt eine Landschaft bei der Autobahnausfahrt Plaidt, Andernach, Ochtendung an der A 61. Der Berg in der Bildmitte ist eine erheblich vergrößerte Version des sogenannten >Hummerich< dort, der wie der Steinbruch weiter vorne zur Bimsgewinnung abgebaut wird. Die Bebauung auf der rechten Bildhälfte zeigt Häuser aus Ochtendung, Mainz, Frankfurt­Eschborn, Kronberg Ts. und Kirchheimbolanden, teilweise in starker Verdichtung (Eschborn - ganz rechts). An der Horizontlinie kann man mit gutem Willen den Rotefels bei Bad Kreuznach und dreimal den Binger Einschnitt erkennen. Auf der linken Seite schaut man über Sponheim auf den Hunsrück. Der Vordergrund mit den Bäumen ist einer Windbruchschneise im Wald in der Nähe von Gerbach nachempfunden. Die großblättrige Rote Pestwurz, die den Boden hier bedeckt, fand ich in der Nähe von Kirchheimbolanden.«

Sachlicher und offener kann ein Künstler seine von ihm bewusst genutzten Quellen nicht darstellen. Eine solche Offenheit ist alles andere als selbstverständlich. Als Regel gilt, dass ein Künstler seine Anregungen verbirgt. Baumeister etwa nannte selten beim Namen, was ihn zu seinen Ideogrammen oder zu seinen Illustrationen anregte; Picasso sprach nie von dem, was sein eidetisches Gedächtnis ihm von der Antike bis zur spanischen Volkskunst für seine Phantasie zur Verfügung stellte, und Max Ernst gab nie an, welche Holzstich-Bücher er für seine Collagen zerschnitten hatte. Weder Joyce noch Arno Schmidt kommentierten ihre rätselhaften Romane mit Hinweisen auf die von ihnen verwendeten Zitate. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Sie wollten nicht durch die Hinweise auf konkrete Anregungen die Differenziertheit, Ambivalenz und Mehrschichtigkeit ihrer Gehalte simplifizieren. Altmeppen möchte dies gleichfalls nicht, aber er hat offensichtlich keine Sorge, dass die Bloßlegung seiner Bildquellen zu einem solchen Missverständnis seines großen Wandgemäldes führen könnten. Er weiß, dass er die bestehende Wirklichkeit zeigt und die gesehene Welt deutet, ihre Erkennbarkeit deshalb nicht zum Problem werden kann.

Eine deutsche Landschaft, wie der Maler sie uns vor Augen stellt, gibt es nicht, obwohl jeder gern bestätigen möchte, er habe Ähnliches wie auf dem Bild bereits gesehen. Finden wir nicht die Zerstörung der Erdoberfläche überall neben Fabriken und Schlafsilos, unterbrochen nur durch wenig Buschwerk, Wiesen, Bäume und natürlich überwölbt von einem Himmel, dem, so scheint es, niemand etwas anhaben kann? Trotz aller Ähnlichkeiten: Mit Hinweisen auf eine topographische Situation kann man dem Gemälde nicht beikommen, zu unerträglich erscheint das unmittelbare Nebeneinander einer riesigen Kiesgrube und eines im Abbau befindlichen Berges, von Dörfern und Hochhaussiedlungen, von Autobahn und Fabrikanlagen. Eine solche Welt wäre belebtes Chaos inmitten einer weiteren Umgebung, die im Blau der weit hinten liegenden Hügel fast wie eine Urlandschaft erscheint - das Zerrbild einer Oase, eine Oase der Scheußlichkeiten.

Sieht man genauer hin, entdeckt man zwischen den durch brutale Eingriffe erzeugten Zerstörungen und den ebenso brutal errichteten Wohntürmen Elemente menschlicher Ordnung wie gewachsene Dörfer mit einer Kirche, einen von einer Burgruine überragten Forst, das Wachstum von Pflanzen unmittelbar am künstlich eingeschnittenen Kraterrand. Es handelt sich einerseits um Relikte der älteren Kulturlandschaft, die gleichfalls artifiziell entstand, jedoch so langsam, dass die Natur sich ihr anpassen konnte; andererseits verraten die genannten Details, dass die Natur, wie ehemals, auch von Kratern und Einbrüchen erneut Besitz ergreift, obwohl ihre Chancen, sich zu behaupten, angesichts der Schnelligkeit der Veränderungen gering bleiben.

Wer wie ein Wanderer diese deutsche Landschaft Stück für Stück erkundet, findet Ausschnitte, die an Tafeln der deutschen Romantik erinnern - insbesondere im linken Bilddrittel-, Partien, die noch als alte Kulturlandschaft gelten können. Dass und was die Tradition der Romantik ihm bedeutet, hat der Maler ebenso offen formuliert wie er seine Fotografien als Bildquellen aufführt: »Meine Motive ... sind die von der sinnlichen Gegenwart evozierten Erinnerungen an Ausschnitte der Welt, die einmal mit unsagbarer Bedeutung aufgeladen waren, einen ganzen Lebensentwurf enthielten. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere wichtigste Verbindung zur Wirklichkeit durch das Gefühl als sinnlicher Sinn hergstellt wird. So gesehen stehe ich auch in der Tradition der Romantik.«

Es ist wohl dieser Bezug auf die dem Maler bewussten Traditionen, die das Bild nicht als Parodie oder Polemik, sondern als Parabel und die Zeit überdauerndes künstlerisches Dokument erscheinen lassen. Dieser Traditionen gemäß benutzt Altmeppen die gleichen Mittel, die von seinen Wahlverwandten vor drei- und vierhundert Jahren genutzt wurden: Der bis in jede Einzelheit genaue Darstellungsmodus illusionistischer Malerei: das Teilen und Komponieren des Raumes in Vordergrund, akzentuierte Mitte und große räumliche Tiefe; die Strukturierung dieses gestaffelten Raumes mit Licht und Schatten; die koloristische Differenzierung; nicht zuletzt ein Bildbau, der es erlaubt, einzelne Ausschnitte wie ein Bild im Bild zu sehen, gleichgültig, ob es sich bei diesen Ausschnitten um Felder und Wälder mit einer Burg, um Pflanzen am Fuß der nachwachsenden jungen Bäume, um eine Fabrik oder um die Wände des gegrabenen Kraters handelt. Diese Teile fügen sich selbstverständlich zueinander. Ihre Integration in die gesamte Komposition nimmt dem Bild jede Aggressivität, trotz der konzentrierten Darstellung der Umweltsünden.

Bei der Übertragung der Realität in eine Bildparabel wählt Altmeppen die Verfahren der Vergrößerung und Verkleinerung, der additiven Verdichtung und der Reduktion auf essentielle Bildgegenstände. So malt er den Hummerich, den im Abbau befindlichen, die Bildmitte beherrschenden Lavaberg dreimal so groß wie er sich gegenwärtig in Wirklichkeit zeigt; er verdichtet durch Hinzufügen weiterer, real nicht vorhandener Bauten die Masse der Wohntürme. Es gibt zwischen ihnen, in der Nähe der Fabriken keinen Abfall - diese Landschaft scheint gründlich entsorgt zu sein. Die klinisch-aseptische Betonarchitektur gleicht derjenigen auf Firmenprospekten oder auf Entwurfsperspektiven gezeichneter Pläne. Man denkt unwillkürlich, diese gebaute Umwelt werde ständig chemisch gereinigt - ein fast unauffälliger Hinweis auf Heiner Altmeppens Feststellung, dass die schlimmsten Umweltsünden diejenigen seien, die man nicht sähe.

Jedem Betrachter steht es frei, ein Bild auf seine eigene Weise zu verstehen, und es eröffnet ihm um so größere Freiheiten, je besser es ist. Ein Künstler äußert sich, wenn es sich um ein gutes Bild handelt, nicht nur bewusst, denn seine Vorstellung ist nicht durch die rationale Analyse, sondern durch die sinnliche Anschauung bestimmt. Sie lässt Aspekte von Gehalt und Form einfließen, die er selbst vielleicht nicht wahrnimmt, die aber für die Rezeption seiner Arbeit zu anderen Zeiten um so größeres Gewicht besitzen.

Mit der »Deutschen Landschaft« Heiner Altmeppens steht es in dieser Hinsicht nicht anders als mit den Weltbildern der Vergangenheit - sie stammen aus einer bestimmten Zeit, weisen aber über sie hinaus. Dieser Maler braucht es nicht ausdrücklich zu sagen: man spürt, dass Pieter Breughel sein Favorit ist. Der im Abbau befindliche Lavaberg gleicht Breughels im Entstehen begriffenen Turmbau zu Babel, einer Metapher der Hybris zu allen Zeiten, insbesondere aber zu seiner eigenen. Häuser und Umwelt rund um sein Monstrum des Scheiterns sind diejenigen Flanderns im 16. Jahrhundert - so, wie alles auf Altmeppens Bild das zwanzigste Jahrhundert, genauer: die Jahrzehnte seines letzten Drittels, zeigt, als ein wie alle Zeiten vorübergehendes Phänomen, überdeutlich gemacht durch die aufgebrochene Erde mit ihrer dem Ephemeren seinen Platz zuweisenden Geschichte, mit der nachwachsenden Kraft der Pflanzen, mit einem Himmel, der unsere Sünden als quantite' negligeable abtut.

1998

Erschienen im Ausstellungskatalog "Heiner Altmeppen - Deutsche Landschaften", Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Osnabrück, Mai 1998  und Kunsthalle in Emden, Stiftung Henri und Eske Nannen, Juni-Oktober 1998

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